Verschwörungstheorien – eine Welt in schwarz und weiß

Einleitung

Die Unterrichtseinheit will dabei helfen, einen Einstieg in das Thema Verschwörungstheorien zu finden. Die Teilnehmenden lernen im Ablauf der Einheit, was Verschwörungstheorien ausmacht und welche Gefahren von ihnen ausgehen können. Sie tauschen sich darüber aus, wo ihnen entsprechende Vorstellungen im Alltag begegnen und machen Erfahrungen, wie schwierig die argumentative Auseinandersetzung sein kann. Anhand der intensiven Auseinandersetzung mit den Inhalten sollen die TN die Strukturen und Hintergründe von Verschwörungstheorien erkennen und verstehen lernen. Durch praktische Beispiele lernen sie, Verschwörungstheorien im Alltag (in sozialen Medien, Gesprächen etc.) zu erkennen und die eigenen Handlungsmöglichkeiten einzuschätzen.

In fünf Schritten (Modulen) setzen die Teilnehmenden (TN) dieser Unterrichtseinheit sich mit Aufbau, Logik und Wirkmechanismen von Verschwörungstheorien, aber auch mit der Frage nach ihrer Popularität und Attraktivität auseinander.

Hintergründe

Verschwörungsdenken und Verschwörungstheorien sind kein neues Phänomen, aber insbesondere die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass größere Teile der Bevölkerung für solche Welt- und Ereignisdeutungen zugänglich sind (Zick/Küpper 2021, Kap. 9). Doch was verstehen wir unter einer Verschwörungstheorie?

Eine Verschwörungstheorie ist eine Theorie in dem Sinne, dass sie aus (einem System von) Aussagen über die Welt und spezifischen Phänomenen und Zusammenhängen in derselben besteht (siehe auch „Anmerkungen zur Begrifflichkeit der Verschwörungstheorie“). Zur Verschwörungstheorie wird sie dadurch, dass sie die Existenz von Verschwörern behauptet, die absichtsvoll handeln und welche die Macht haben, Dinge und Geschehnisse in ihrem Sinne zu beeinflussen und dabei unerkannt zu bleiben. Sie tun dies zum Schaden Dritter. Verschwörungstheorien führen alle Ereignisse und Begebenheiten von Bedeutung auf das absichtsvolle Handeln machtvoller Akteure zurück: Die Welt, in der wir leben, ist in diesem Verständnis eine Welt ohne Zufälle (siehe auch „Bausteine und Wirkungsweisen von Verschwörungstheorien“).

In vielen Verschwörungstheorien geht es um düstere Untergangsszenarien und Erlösungsfantasien. Die Welt wird in gegensätzlichen Schwarz-weiß-Kategorien gezeichnet und es geht häufig um „alles oder nichts“.

Insbesondere in Krisenzeiten, in Zeiten von Corona oder des Krieges in der Ukraine, verfangen die Krisendeutungen und Fake News der Populisten und Propagandisten. So wird in der sog. Mitte-Studie (Zick/Küpper 2021, S. 283) festgestellt, „dass der Glaube an Verschwörungserzählungen kein Phänomen am Rande der Gesellschaft ist, sondern weite Teile der Bevölkerung weltweit dafür empfänglich sind“.

Hier lohnt es sich, sich mit den Funktionen zu beschäftigen, die Verschwörungstheorien für Menschen im Sinne der Befriedigung unterschiedlich stark ausgeprägter menschlicher Bedürfnisse erfüllen können: Sie kommen einem zutiefst menschlichen Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit im Sinne einer Kompensationsfunktion zur Wiederherstellung von Kontrolle (Nocun/Lamberty 2020, S. 28-30) angesichts von gesellschaftlichen, politischen und persönlichen Unsicherheiten und Krisen entgegen. Zudem können sie das menschliche Bedürfnis nach Orientierung und Sinngebung befriedigen, denn sie halten vermeintlich geheimes „Wissen“ über eine häufig schwer verständliche Welt bereit. Weiterhin klären sie Fragen von Verantwortung und Schuld, entlasten damit auch moralisch jene, die als sich als „Opfer“ angesprochen fühlen. Schließlich haben Verschwörungstheorien in Form der transportierten Freund-/Feindbilder ein identitätsstiftendes Angebot zu machen, indem sie einerseits den Verschwörungsgläubigen vermitteln, Teil einer kleinen Gruppe Auserwählter zu sein, die durchblicken. Andererseits bilden sich rund um Verschwörungstheorien und -erzählungen in und außerhalb der sozialen Medien und Netzwerke starke Gemeinschaften, die das Gefühl der Zugehörigkeit und der Anerkennung erzeugen können. Je nach individueller Disposition, sozialer Situation und den gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen wird die Ansprechbarkeit für Verschwörungstheorien unterschiedlich ausfallen. Es bleibt aber festzuhalten, dass Verschwörungstheorien eine Antwort auf menschliche Bedürfnisse darstellen.

Verschwörungstheorien sind auch deshalb ein wesentlicher Bestandteil der heutigen Krisendeutungen. Gleichzeitig werden solche zu Verschwörungserzählungen gefügten Verschwörungstheorien von gezielten Desinformationskampagnen systematisch befördert.

Im Jahr 2022 lässt sich beobachten, wie sich der Fokus der Verschwörungspropaganda von der Corona-Pandemie auf den Krieg Russlands in der Ukraine verlagert. Während die Corona-Pandemie geleugnet und als fabrizierter Vorwand für globale Eliten und den „tiefen Staat“ ausgegeben wurde, wird nun der Krieg in der Ukraine und der Konflikt mit Russland als vom Westen provozierte und in seinen möglichen Konsequenzen für die eigene Bevölkerung (Energieknappheit, steigende Preise) beabsichtigte Zuspitzung gedeutet. Die „Eliten“ wollten damit die Demokratie und Bürgerrechte aushebeln und eine „Neue Weltordnung“ etablieren. Noch im Jahr 2015 waren die damaligen Fluchtbewegungen nach Europa Gegenstand entsprechenden Verschwörungsdenkens (siehe auch Unterrichtseinheit Nr. 07 zur Verschwörungstheorie vom „Großen Austausch“).

Vielfach knüpfen aktuelle Verschwörungstheorien an bereits aus der Vergangenheit bekannte Verschwörungstheorien an. Im Laufe der Geschichte haben sich kulturelle Deutungsmuster in Form von Verschwörungstheorien mitsamt wiederkehrender Motive, Erklärungsmuster und Mythen herausgebildet. So konstatiert Michael Blume (2018, S. 92): "…so häufen sich tatsächlich die Befunde, nach denen der Evolution religiöser Mythen an ein absolutes Gutes noch sehr viel ältere Verschwörungsmythen gegenüberstehen, die das Wirken oder gar die Herrschaft böser Mächte verkünden."  Diese reichen vom Hexenglauben bis zum vielfach antisemitisch aufgeladenen Motiv des „Brunnenvergiftens“. Dabei ist auch eine Aktualisierung altbekannter antisemitischer Deutungsmuster zu beobachten, wenn bspw. behauptet wird, die „jüdische Bankiersfamilie Rothschild (habe) selbst die Weltkriege und die Massenmorde herbeigeführt“ (Blume 2020, S. 130).

Vor diesem Hintergrund scheint es geboten, sich mit Aufbau, Logik und Wirkmechanismen von Verschwörungstheorien, aber auch mit der Frage nach ihrer Popularität und Attraktivität auseinanderzusetzen. Dies geschieht in der vorliegenden Unterrichtseinheit Nr. 05 und vertiefend in den thematisch an den Themen der Corona-Pandemie (UE Nr. 06) und von Flucht und Vertreibung (UE Nr. 07) arbeitenden Unterrichtseinheiten.

Anmerkungen zur Begrifflichkeit der Verschwörungstheorie

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Insbesondere im deutschen Sprachraum gibt es seit einigen Jahren eine Diskussion darüber, ob man von Verschwörungstheorien sprechen soll (Butter 2018, S. 44-56) oder besser von Verschwörungserzählungen (Nocun/Lamberty 2020), Verschwörungsmythen (Blume 2020), Verschwörungsideologien o.ä.

Hauptargument derer, die sich gegen die Begrifflichkeit der Verschwörungstheorie aussprechen, ist die angebliche Wertung, die in der Nutzung des Begriffes mitschwinge. Dieses Argument wird in zwei Richtungen vorgebracht: Die einen wollen den Begriff der Verschwörungstheorie nicht verwenden, weil er sich als ein politisch umstrittener, stark normativ aufgeladener, per se abwertender Begriff nicht als empirisch-analytischer Begriff eigne (hierzu Butter 2018, S. 44-56). Andere wiederum lehnen den Begriff unter umgekehrten Vorzeichen als ungeeignet ab, da er Verschwörungstheorien angeblich aufwerte, indem er sie als Theorien bezeichne und damit vermeintlich als wissenschaftlich adele (Nocun/Lamberty 2020; S. 21).

Mit Michael Butter (2018) halten wir pragmatisch an der Begrifflichkeit der Verschwörungstheorie fest, da zum einen der Begriff ein eingeführter und allseits bekannter Begriff ist und zum anderen sich die beschriebenen Deutungsmöglichkeiten und Wertungen auch bei jeder alternativen Begrifflichkeit ergeben. Umstritten und normativ aufgeladen sind die meisten interessanten politischen und soziologischen Begriffe, sei es Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit, Frieden, aber auch Macht, Demokratie oder Populismus. Der jeweilige Gebrauch der Begriffe muss immer definiert und erklärt und ggf. gegen alternative Verwendungen abgegrenzt werden. Das heißt aber auch, dass die Verwendung alternativer Begriffe bei kompatibler Definition des Inhalts kein grundlegendes Problem darstellt. Deshalb greifen wir in der Arbeitshilfe auch auf gute Materialien zurück, die bspw. den Begriff der Verschwörungserzählung verwenden, diesen aber so verwenden, wie es unserem Verständnis einer Verschwörungstheorie entspricht.

Statt also eine verbreitete, auch im englischen Sprachraum gängige Begrifflichkeit (conspiracy theory) mühsam zu umgehen, sollten wir deutlich machen, was wir darunter verstanden wissen wollen:

Wenn wir Theorien allgemein als (ein System von) Aussagen über die Welt und spezifischen Phänomenen und Zusammenhängen in derselben verstehen, dann können wir zwischen Alltagstheorien und wissenschaftlichen Theorien unterscheiden:

Alltagstheorien (und unser Alltagswissen) umfassen all jene mehr oder minder bewussten Annahmen über das Funktionieren der Welt, mit denen wir große Teile unseres Alltags bestreiten (wodurch eine gewisse alltagspraktische Überprüfung stattfindet, die aber im Einzelfall auch trügerisch sein kann; viele der Alltagsannahmen und -theorien sind jedoch prinzipiell auch so zu formulieren, dass sie überprüfbar und widerlegbar werden).

Wissenschaftliche Theorien zeichnen sich eben dadurch aus, dass sie so formuliert sind, dass sie überprüfbar (durch Erfahrungen und Beobachtungen) und damit prinzipiell widerlegbar zu sein haben (nicht etwa per se wahr).

Verschwörungstheorien werden entweder trotz widersprechender empirischer Befunde vertreten bzw. dieser Überprüfbarkeit entzogen – bspw. indem deren Vertreter*innen die faktenbasierten Widerlegungen selbst als Teil der behaupteten Verschwörung deuten und damit die empirischen Tatsachen leugnen. Es ist dies eine Form der Immunisierung gegen Kritik, die allen wissenschaftlichen Standards widerspricht. Die „Nicht-Belegbarkeit“ der Verschwörungsunterstellungen wird als Ausweis des Ausmaßes der Verschwörung und der vermeintlichen Macht der Verschwörer selbst in ihr Gegenteil verkehrt. Es bleiben aber Vorstellungen über die Ordnung und das Funktionieren der Welt, die für sich beanspruchen, wahr zu sein. Die Autoren sind der Ansicht, dass solche Verschwörungstheorien deshalb als schlechte, unwissenschaftliche Theorien kritisiert werden sollten, eine Änderung der Begrifflichkeiten hier aber wenig zielführend ist.

Vielmehr erscheint es uns sinnvoll, Begriffe wie Verschwörungserzählung, Verschwörungsmythos, Verschwörungsideologie für spezifische Ausformungen verschwörungstheoretischen Denkens und der Präsentation von Verschwörungstheorien zu verwenden.

Quellenhinweise

Michael Blume (2018): Der Reiz von Verschwörungsmythen. Eine Analyse, in: Thomas Köhler/Christian Mertens (Hrsg.), Politische Beratung 2017/2018. Zeit und Geist in Mitteleuropa 2018, S. 91–99.

Blume, Michael (2020): Verschwörungsmythen. Woher sie kommen, was sie anrichten, wie wir ihnen begegnen können. Ostfildern 2020.

Nocun, Katharina/Lamberty, Pia (2020): Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen. Köln 2020.

Zick, Andreas/Küpper, Beate (Hg.) (2021): Die geforderte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2020/21. (Hg. für die Friedrich-Ebert-Stiftung v. Franziska Schröter). Bonn 2021.

Bausteine und Wirkungsweisen von Verschwörungstheorien

Download Infokasten

Jede Verschwörungstheorie behauptet die Existenz von Verschwörern, die absichtsvoll handeln und welche die Macht haben, Dinge und Geschehnisse in ihrem Sinne zu beeinflussen und dabei unerkannt zu bleiben. Sie tun dies zum Schaden Dritter (bspw. einer Bevölkerungsgruppe oder des Volkes).

Aus dieser Tendenz zur Personalisierung folgt dann, dass ein solches Verschwörungsdenken mit Schuldzuschreibungen im Zusammenhang der Erklärung politischer und gesellschaftlicher Ereignisse operiert. Dieses verschwörungstheoretische Schuldverständnis unterstellt stets absichtsvolles Handeln und führt alle Ereignisse und Begebenheiten von Bedeutung auf das intendierte Handeln machtvoller Akteure zurück: Die Welt, in der wir leben, ist eine Welt ohne Zufälle. Sie ist von diesen Verschwörern gewollt – in diesem Sinne sind sie Schuldige und Kriminelle.

In einer solchen Welt ohne Zufälle gibt es keinen Raum für nicht-intendierte Nebenfolgen menschlichen Handelns und für die Begrenztheit des menschlichen Erkenntnisvermögens und damit die Fehlbarkeit seines Urteilsvermögens. Gefahren werden in dieser Sichtweise überwiegend als konkrete Bedrohungen aufgefasst, die auf das absichtsvolle Handeln eines Gegenübers zurückzuführen sind.

Häufig werden Angehörige sogenannter „Eliten“ als „Verschwörer“ und „Schuldige“ identifiziert, die sich an den Interessen der jeweiligen „Opfer“ vergehen. In vielen Verschwörungstheorien bedienen sich die Eliten zudem Angehöriger von Minderheiten oder „Fremdgruppen“ bzw. machen mit diesen „gemeinsame Sache“, um sich an den Interessen eines „unschuldigen“ Volkes oder einer Gruppe zu vergehen. Minderheiten, Ausländer und politisch Andersdenkende werden herabgewürdigt, diskriminiert und kriminalisiert und als Teil einer existentiellen Bedrohung dargestellt. Die Schuldigen als Verursacher absichtsvoller Bedrohungen stehen im Mittelpunkt der Versuche, Kontrolle über das eigene Leben, die Zukunft, eine ausgemachte Gefahr zurückzuerlangen. Gewalt wiederum wird in diesem Verständnis vielfach als legitim im „Überlebenskampf“ angesehen,

Die Konsequenz ist eine manichäische Weltsicht in schwarz und weiß, in der es „gut“ und „böse“, „Freund“ und „Feind“ als absolute Kategorien gibt.

Menschen, die zum Verschwörungsdenken neigen, fügen häufig eine Vielzahl von Verschwörungstheorien zu Verschwörungserzählungen zusammen, die zu ganzen Welterklärungssystemen ausgebaut und durch Verschwörungsmythen angereichert werden. Diese werden nicht selten in den Stand einer Offenbarung erhoben und weisen neoreligiöse Züge auf.